Der Zauberlehrling. Oder: Wie der Fachminister über die Freihandelsabkommen diskutiert

O. Nordsieck

Linksletter Düsseldorf: CETA, das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, liegt unterschriftsreif in den Tresoren. Es ist der Auftakt zu einer neuen Globalisierungsrunde und wie seine beiden Schwesterabkommen TTIP und TISA wurde bzw. wird es unter starkem Einfluss von Lobbyisten in aller Stille verhandelt. Am Donnerstag, den 25.09., wurde hierüber sehr kontrovers im Bundestag debattiert. Neben Klaus Ernst von der LINKEN ging auch Anton Hofreiter von den Grünen mit dem Abkommen hart ins Gericht, doch beide mussten sich in gewohnt rotziger Manier von Wirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel abledern lassen.

Die SPD, sich darin treu bleibend, die Interessen der kleinen und ganz kleinen Leute, in deren Namen sie noch immer zu handeln vorgibt, zu verraten, verharmlost in Form der Äußerungen ihres Wirtschaftsministers die Folgen der genannten Abkommen schamlos. Gabriel hält CETA und TTIP für unproblematisch, es würden weder Verbraucher- noch Arbeitnehmerrechte geschmälert und Schiedsgerichte, in denen Vertreter von Kläger, Beschuldigtem sowie eine nicht näher definierte neutrale Person über Forderungen vermutlich bis zu Milliardenhöhe im stillen Kämmerlein bindend und ohne Berufungsmöglichkeit verhandeln, wird es laut Gabriel mit ihm auch nicht geben. Hört man Gabriel reden, haben CETA und TTIP ausschließlich Vorteile, ein Sachverhalt, der im Leben so gut wie nirgends existiert. Und Gabriel und seine Partei waren bekanntlich auch noch nie wortbrüchig.

Im Verein mit seinen Koalitionspartnern von der Union malt Gabriel eine rosarote Welt des Freihandels zwischen der EU, den USA und Kanada. Der Handel zwischen diesen Staaten wird erleichtert und stark zunehmen, es wird Wachstum geben, alle Menschen, oder so gut wie alle, werden profitieren und einen Preis wird das ganze auch nicht haben. Er, Gabriel, hat den Durchblick und seine Widersacher sind entweder dumm oder fehlgeleitet. Die CSU sekundiert mit der phantastischen Zahl, jeder bundesdeutsche Haushalt werde im Durchschnitt über 400 Euro zusätzliches Nettoeinkommen pro Jahr erhalten. Wie dieser tolle Wert zustande kommt, die Erklärung bleibt der Redner allerdings schuldig.

Es wird einfach unter den Tisch gekehrt, wer hier eigentlich als einflussreiche Größen am Tisch sitzt. Nicht nur Gegner, auch unabhängige Kenner der Materie gehen davon aus, dass die Abkommen nahezu ausschließlich großen Konzernen nutzen werden. Wie diese knallhart ihre Eigeninteressen durchsetzen, ziemlich egal auf wessen Kosten ihre Gewinne steigern im Wettbewerb um das Geld der Investoren, und wie wenig sie dabei häufig in unser aller Interesse handeln, egal ob es um Umweltstandards oder menschenwürdige Bezahlung ihrer Beschäftigten und Zulieferer geht, blenden Gabriel und seine Freunde völlig aus. Stattdessen beschimpft er Klaus Ernst und DIE LINKE als die größten Jobvernichter.

TTIP und CETA würden vor allem nicht tarifäre Handelshemmnisse beseitigen, so die Aussage von der Regierungsbank. Klaus Ernsts bzw. der LINKEN Nachfrage, welches diese denn konkret seien, beantwortet die Regierung, dies sei nicht eindeutig definiert – man darf annehmen, in den geheim verhandelten Abkommen ist es das sehr wohl. Umweltauflagen, Normen des Verbraucherschutzes oder Sozialstandards etwa werden hier ausschließlich zu Handelshemmnissen umgedeutet.

Nun ist Gabriel im austeilen bekanntlich ebenso nicht zimperlich wie darin, Sachverhalte zu seinen Gunsten zu verdrehen. Nicht ohne Grund ist er vermutlich der derzeit einflussreichste Politiker auf dem lecken Kahn namens SPD, die als glorreiche Volkspartei und mit Fieberträumen von einer Regierungsübernahme 2017 in Umfragen im Mittelfeld von 25 Prozent bundesweit dümpelt und in Sachsen und Thüringen nicht einmal mehr auf 15 Prozent kam. Gabriel verweigert, wieder einmal, eine sachliche Diskussion und wütet gegen seine Kritiker. Er verteidigt Abkommen, die im stillen Kämmerlein ausgekungelt wurden und nicht nur Umwelt-, Verbraucherschutz und Arbeitnehmerrechte massiv einschränken, sondern die Rechte und Einflussmöglichkeiten zukünftiger Politikergenerationen massiv beschneiden und so gut wie ausschließlich den Interessen des Großkapitals dienen.

Selbst die Optimisten unter den Analytikern gehen bei dem von Gabriel und seinen Mitstreitern aus SPD und Union angekündigtem „Jobwunder“ etwa durch TTIP von nicht einmal einer Million neuer Arbeitsplätze aus, nicht allerdings in Deutschland sondern in der gesamten EU. Diese hat, zum Vergleich, derzeit gut 500 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner und etwa 215 Millionen Erwerbstätige. Das wäre, wohlgemerkt günstigstenfalls, ein Zuwachs von 0,46 Prozent. Für Deutschland sehen die Zahlen nicht viel besser aus. Bei ebenfalls sehr günstig prognostizierten 200.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen und einer Summe von 42,6 Millionen Beschäftigten derzeit käme wiederum ein Zuwachs von 0,47 Prozent heraus.

Diese Zahlen basieren, man kann es nur wiederholen, auf den positivsten Annahmen. Einige Experten sowohl von europäischen wie US-amerikanischen Universitäten und Forschungsinstituten gehen von deutlich weniger bis zu gar keinem Zuwachs aus. Doch selbst unter günstigsten Bedingungen muss die Frage erlaubt sein, ob die verschwindend geringe Zahl neuer Arbeitsplätze das Schleifen von Arbeitnehmer- und Verbraucherrechten, Umweltschutz, das totale Zurückdrängen der öffentlichen Hand aus der Daseinsvorsorge wie etwa der Wasserversorgung und die Übertragung wichtiger Gerichtsbarkeit auf geheime Schiedskommissionen wohl wert ist.

Das alles ficht Gabriel und Co. nicht an. Wie Goethes Zauberlehrling wollen er und seine Mitstreiter Mächte von der Kette lassen, denen er und wir alle nicht mehr Herr werden. Ob die SPD, auf welcher Ebene auch immer, im Parlament oder durch Mitgliederentscheid, sich doch noch gegen die Abkommen entscheiden wird, darauf möchte man sich lieber nicht verlassen. Die Konsequenz kann nur lauten: Wehrt Euch gegen diese Abkommen mit allen legalen Mitteln. CETA, TTIP und TISA müssen zu Fall gebracht werden, bevor mit ihnen unumkehrbare Fakten auf Kosten der Bevölkerungen aller beteiligten Staaten geschaffen werden.